Biografie

Hermann Nitsch (* 29. August 1938 in Wien; † 18. April 2022 in Mistelbach) war entscheidender Gründer des Wiener Aktionismus und zählte zu den vielseitigsten Künstlern: Aktionist, Maler, Grafiker, Komponist, Bühnenbildner. Sein Gesamtkunstwerk das Orgien Mysterien Theater umfasst das breite Spektrum seiner Kunst, indem es den Einsatz aller fünf Sinne erfordert – das Tragische führt zur Auseinandersetzung mit Fleisch, Blut und Eingeweiden und sollte letztlich zu einer Lebensbejahung, die über Leben und Tod hinausgeht, führen. Das Sein sollte in seiner Ganzheit und Tiefe erfasst werden.

Hermann Nitsch wurde am 29. August 1938 in Wien geboren. Nach einer diplomierten Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien (1953-58) übernimmt Nitsch 1957 eine Stelle als Gebrauchsgrafiker am Technischen Museum der Stadt Wien. Privat orientiert sich Hermann Nitsch zunächst am Expressionismus, den er mit großteils religiösen Figurenszenen verbindet. Ab 1960, nach einer Zeit der Hinwendung Nitschs zur Literatur, kehrt er mit Werken, die dem Informel verpflichtet sind, zur Malerei zurück. In diesem Jahr finden auch erste Malaktionen statt, die die Idee des Orgien Mysterien Theaters umzusetzen versuchen. Die Aktionen, bei denen es um das intensive sinnliche Erleben verschiedenster Substanzen und Flüssigkeiten geht, werden in den folgenden Jahren immer provokativer. Nach Schrei- und Lärmaktionen als Abreaktionsspiele realisiert Nitsch Lammzerreissungen, die zu weiteren Aktionen mit Fleisch führen. Nach großen Erfolgen des Orgien Mysterien Theaters Ende der 60er Jahre in den USA und Deutschland führt Nitsch während der 70er Jahre in vielen europäischen und nordamerikanischen Städten Aktionen durch. In einer veränderten politisch-gesellschaftlichen Situation kann Nitsch sich als anerkannter Kunstschaffender etablieren.

1971 gelingt der Ankauf des niederösterreichischen Schlosses Prinzendorf aus dem Besitz der Kirche, wo Nitsch im Zuge groß angelegter Aktionen auch seine Vorstellungen von der Musik zu seinem Theater verwirklicht. Bei den Aktionen werden Lärmorchester, Schreichöre und elektronisch verstärkte Instrumente eingesetzt. Nitsch deutet das Leben als Passion an, sowie den Malprozess als verdichtetes Leben und damit als Inbegriff der Passion. Der Künstler selbst bleibt durch seine an zentraler Stelle im Bild eingefügten Malhemden, die er während der Arbeit trägt, anwesend und animiert den Betrachter, sich mit dem Malvorgang zu identifizieren und mit ihm ins Bild einzutreten.

Neben seiner künstlerischen Tätigkeit unterrichtete Nitsch überdies die Klasse für interdisziplinäre Kunst an der Städelschule, Frankfurt am Main (1988-2001) und übernahm auch in anderen europäischen Städten immer wieder Lehraufträge.

Zu den Höhepunkten von Hermann Nitschs Projekten zählen das “Drei Tage Spiel” 1984 in Prinzendorf oder der Zyklus von Schüttbildern, die er 1987 in der Wiener Secession herstellen konnte. Das Ideal des “6 Tage Spiels” verwirklicht Nitsch 1998 – dabei wurde durch Mitwirken von 500 Personen eine Aktion durchgeführt, die eine neue Dimension an exzessivem und tragischem Erleben ermöglichte. Seit den 90er Jahren wird seine Kunst auch immer häufiger in Ausstellungen gewürdigt, die oftmals von Aktionen des Künstlers begleitet werden. Von besonderer Bedeutung dafür sind etwa die zwei großen Retrospektiven in der Sammlung Essl und darauf folgend im Martin Gropius Bau in Berlin oder die Ehrung Nitschs durch die Ausstellung 2019 in der Albertina in Wien.

Ein knapp 1000-seitiges monografisches Standardwerk „Hermann Nitsch – Das Gesamtkunstwerk des Orgien Mysterien Theaters“ bezeugt die immense Tätigkeit und Relevanz seiner Person. Jüngst widmet sich Nitsch in seiner Malerei vermehrt der Thematik der Auferstehung und konnte zuletzt 2021 bei den Bayreuther Festspielen auf Einladung eine Malaktion realisieren.

Der Künstler arbeite und lebte mit seiner Frau Rita Nitsch auf Schloss Prinzendorf in Prinzendorf an der Zaya, Niederösterreich sowie in Asolo, Italien. Seine Werke sind in zwei monografischen Museen in Mistelbach und Neapel sowie in der Nitsch Foundation in Wien und in den renommiertesten internationalen Museen und Galerien ausgestellt.

Hermann Nitsch ist am 18. April 2022 nach Krankheit im Alter von 83 Jahren in Frieden verstorben.

©Erika Schmid